Gedanken von Bischof Benno Elbs zum Advent 2025
Liebe Schwestern und Brüder!
Wer schon einmal von außen die Glasfenster einer großen Kathedrale betrachtet hat, wird mit Enttäuschung festgestellt haben, dass sie dunkel und matt wirken. Die Farben und damit auch die
Botschaft der Bilder bleiben verborgen. Erst wenn man die Kirche betritt und die Fenster von innen gegen das Licht betrachtet, beginnen sie, farbig und lebendig zu leuchten. Und wenn dann auch
noch Sonnenstrahlen einfallen, entfaltet sich ihre ganze Schönheit.
Ich denke, dass es in unserem Leben ähnlich ist. Auch hier gibt es eine Innen- und Außensicht. Von außen betrachtet, kann unser Alltag manchmal blass und eintönig wirken wie z.B. durch Termine,
Arbeit und Erledigungen. Doch wenn wir innehalten und genau hinschauen, entdecken wir eine tiefere Dimension: Begegnungen, die uns Freude machen; Momente des Dankes; das Erleben von Sinn oder
Erfahrungen, die uns das Geheimnis Gottes erahnen lassen. Es macht einen großen Unterschied, ob wir von außen oder von innen auf unser Leben schauen.
Den Advent mit den Augen des Glaubens wahrnehmen
Das gilt auch für die Adventzeit. Viele von uns haben in diesen Tag einiges zu tun und vorzubereiten. So kann es schnell geschehen, dass wir die Zeit vor dem Weihnachtsfest nur äußerlich
miterleben. Doch etwas Anderes ist es, den Advent von innen wahrzunehmen, und
das bedeutet: mit den Augen des Glaubens. Wir treten heute ein in diese Zeit, um uns mit Staunen und innerer Freude auf die Geburt des Erlösers vorzubereiten. Große biblische Texte und Lieder
begleiten uns dabei. Sie erzählen von Dunkelheit, in die Licht einbricht; von einem Baumstumpf, aus dem ein neuer Zweig herauswächst; von Waffen, die zu Pflugscharen und Winzermessern
umgeschmiedet werden; vom Heil Gottes, das wie Tau leise und unbemerkt vom Himmel herabkommt; oder von einer Jungfrau, die ein Kind empfängt. Diese Texte sind wie leuchtende Fenster, durch die
das Licht der Hoffnung sanft hindurchschimmert, das im göttlichen Kind von Bethlehem zur Welt kommt.
Leidenschaft Gottes für sein Volk
Mich persönlich begleitet seit einiger Zeit ein Satz des Propheten Joël im Alten Testament. Er erzählt am Beginn seines Buches über Plagen, Verwüstung und Zerstörung, die über Israel
hereinbrechen. Und dann, mitten in dieser unheilvollen Situation, heißt es plötzlich und
unerwartet: „Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Erbarmen mit seinem Volk.“ (2,18) Die Leidenschaft Gottes für sein Volk bringt die Wende. Trotz der äußeren Not
wächst von innen her die Hoffnung auf das Heil, das Gott verheißt.
Ich halte dies für eine zutiefst adventliche Erfahrung. In den Bedrohungen und Gefahren, die heute nicht geringer sind als damals, halten auch wir sehnsuchtsvoll Ausschau nach der Ankunft Jesu, die Rettung bringt. In seiner Geburt zeigt Gott seine Leidenschaft für uns Menschen und für seine Schöpfung.
In den Armen berührt uns Gott
Diese Leidenschaft erweist Gott insbesondere dort, wo Menschen in Not sind. Im ersten großen Schreiben Dilexi te von Papst Leo XIV. findet sich ein bemerkenswerter Gedanke. Er sagt: Die Armen
sind für uns Christinnen und Christen „keine soziologische Kategorie“, also nicht Gegenstand von Statistiken und Untersuchungen, „sondern das Fleisch Christi selbst“ (Nr. 110). In den Armen
berührt uns der menschgewordene Gott, der selbst arm zur Welt kommt, damit wir im Licht seiner Nähe das Leben in neuer Tiefe sehen können. Der Advent führt uns hin zur Erfahrung, dass Gott nicht
auf Abstand bleibt. Er sieht sich das Leben nicht von außen an, sondern teilt es von innen her: das Heranwachsen eines Kindes, die Freude junger Eltern, die Armut eines Flüchtlings, Glück und
Leid und Tod. In Jesus Christus wird Gott Teil unserer Geschichte und meines Lebens. Weil wir ihm am Herzen liegen und er uns nicht verlieren will, tritt Gott selbst in unsere Welt. Er zeigt uns
den Weg zu ihm und zu unseren Mitmenschen.
So erinnert uns der Advent an die Verantwortung, die wir füreinander tragen. Ich möchte
auch in diesem Jahr auf die Adventsammlung „Bruder und Schwester in Not“ am 3. Adventsonntag hinweisen. Eure Spende unterstützt heuer besonders Kinder und Jugendliche in Ostafrika, deren Alltag
von mangelnder Ernährungssicherheit, Gewalt und unzureichender medizinischer Versorgung geprägt ist. Gemeinsam tragen wir dazu bei, dass sie geschützte Räume finden, in denen Bildung und
Vertrauen wachsen können. Für Eure Unterstützung sage ich ein herzliches Vergelt’s Gott.
Ich wünsche Euch allen eine gesegnete und von der Hoffnung auf das Kommen Christi erfüllte Adventzeit.
Feldkirch, am 21. November 2025,
dem Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem
Benno Elbs
Diözesanbischof