Zwischen Himmel und Erde

40 Tage nach Ostern. Die Freunde und Freundinnen Jesu. Wieder oder immer noch in Jerusalem.

»Ihr sollt in der Stadt bleiben, bis ihr mit Kraft aus der Höhe ausgerüstet werdet« so schreibt Lukas am Ende seines Evangeliums.

Oben am Ölberg, nahe der Aussichtsplattform, wo sich ein wunderbarer Blick über die Altstadt 

auftut, befindet sich neben Wohnhäusern eine Zawija, ein Gebetsraum mit dem kleinen Minarett einer Sufigemeinschaft. In deren Innenhof steht die kleine Himmelfahrtsmoschee Kubbat as-Su'ud, von den Christen genannt »die Himmelfahrtskapelle«. Nach der Eroberung Jerusalems durch Saladin wurde der Bau im 12 Jahrhundert in eine Moschee umgewandelt. Wenige christliche Pilgergruppen kommen hier her. Vielleicht auch deshalb, weil das Betreten einer muslimischen Gebetsstätte irritiert, der christliche Erinnerungsort, der für alle Glaubensgemeinschaften zugänglich ist, von der muslimischen Behörde verwaltet wird. Mitten im Innenhof, umrahmt von einer Steinmauer, steht dieser schmucklose, achteckige Bau aus dem hellen Jerusalemstein, und der runden Kuppel. Wenig Licht fällt durch 4 kleine schmale Fenster. Ein paar brennende Kerzen stehen auf dem Boden nahe des Eingangs. Sie beleuchten einen quadratischen Stein am Boden. Hier soll der Fußabdruck Jesu zu erkennen sein. Die Erinnerung an die Erzählung von Lukas ist hier verortet. Christi Himmelfahrt. 

Wie sie ein letztes Mal seine Stimme hören, ihn sehen, und wie die Wolke am Himmel ihn dann aus ihren Augen nimmt. Kein Festhalten ist möglich, kein Zurückholen. Kein Verschontwerden.

Er ist einfach nicht mehr da. 

Die Erfahrung des endgültigen Abschieds.

Aber Lukas schreibt, dass sie mit großer Freude zurückkehren. Das klingt märchenhaft.

Ob seine Zusage, dass sie mit der Kraft aus der Höhe ausgerüstet werden, ihr Vertrauen so groß werden hat lassen?

Nach nur 40 Tagen der Trauer. Für alle, die um Geliebte trauern, undenkbar.

Aber, wenn in der Bibel von der Vier geredet wird, dann meint es unsere Diesseitigkeit, das in der Zeit sein. Erst, wenn die 50 Tage um sind, tritt die andere Wirklichkeit in Kraft, eine neue Ebene wird erfahrbar.

Bis dahin brauchen wir Lieder zur Ermutigung, wie ein solches vielleicht, von Hilde Domin. 

Elisabeth Schwendinger

 

Lange wurdest du um die türelosen

Mauern der Stadt gejagt.

Du fliehst und streust

die verwirrten Namen der Dinge

hinter dich.

Vertrauen, dieses schwerste

ABC.

Ich mache ein kleines Zeichen

in die Luft,

unsichtbar,

wo die neue Stadt beginnt,

Jerusalem,

die goldene,

aus Nichts.

Hilde Domin

 

aus: Hilde Domin, Lieder zur Ermutigung, gesammelte Gedichte, S.Fischer Verlag